Auch Berliner Bestatter verstehen mal nur Bahnhof
Als Bestatter wird man auch immer wieder Zeuge von Berliner Geschichten, eigentümlichen Episoden, die das Leben schreibt und die man, wenn man sie auf der Leinwand sehen würde, als glatt erfunden und fake bezeichnen würde.
Vor ein paar Monaten rief mich in einer ruhigen Minute eine Frau an. Sie berlinerte gleich drauflos und fragte, ob ich gerade Zeit hätte, sie bräuchte nur eine Auskunft. Ich war gerade im Berliner Nahverkehr unterwegs, einen Hausbesuch hinter mir. Sie stand vor unserem Geschäft in Charlottenburg und fand es geschlossen vor. Viel Zeit habe sie nicht, sie müsse vor ihrem Urlaub noch zum Friseur. Ich sagte ihr zu, sie könne mich gerne fragen, was immer sie wolle. Sie meinte, wenn es nicht so heiß wäre, hätte sie sich nicht jetzt, sondern erst nach ihrem Urlaub in drei Wochen gemeldet. Ich machte ihr Mut: „Nur zu!“ Sie hätte nur eine technische Frage, stimmte sie an. Der Urlaub sei halt schon lange geplant, ihn zu stornieren sei jetzt nicht mehr möglich. Vor einer Woche, ja da wäre es kein Problem gewesen, aber heute? Hatte die Dame sich in der Nummer geirrt? Hatte ihr Reisebüro anrufen wollen, statt den Bestatter? Stimmt, es war ja heiß in der Stadt, ein Spätsommertag in Berlin. Da konnte man schon durcheinander geraten.
Wie lange hält ein Versprechen?
„Wie lange könne er denn so liegen bleiben?“ hub sie wieder an. Ich verstand nur Bahnhof. „Sie meinen?“ „Mein Mann!“ Sie hätte es ihm doch versprochen, auch wenn es lange her war. Damals seien sie noch ein Paar gewesen. Damals war er ihr noch treu. Damals war noch alles rosarot. Mit den Jahren ging ihre Beziehung in die Brüche, sie haben sich räumlich getrennt. Jeder habe seins gemacht. Die Zeit sei ins Land gegangen. Aber das Versprechen, sich zu kümmern, wenn es einmal so weit war, das hatte sie niemals aufgegeben. Sie wollte es jetzt auch nicht tun, aber der Urlaub. Nicht ganz billig sei die Reise gewesen.
Schlechte Verbindung und Sommerhitze
Ich verstand immer noch nicht, lag es an der Hitze, an der schlechten Verbindung in der U-Bahn oder wollte ich es einfach nicht wahrhaben. Wir hatten jetzt schon mindestens 20 Minuten telefoniert. Nicht meine Art sonst, aber ihre Stimme, dieses Berlinern und überhaupt, dieser Tag heute nach einem strapaziösen Hausbesuch, so war es eben passiert. Und sie kam wieder mit dem „Wie lange?“.
„Wer liegt denn wo und wieso?“ Da hörte ich ein Glucksen in der Leitung. Hatte sie sich verwählt oder, nein, jetzt graute es mir, ich stand auf der Leitung.
„Sie sind ja lustig, zuhören können sie ja, aber kapieren tun sie es noch immer nicht! Ich war gerade in der Wohnung von meinem Alten, um ihm von meinem Urlaub zu erzählen. Jemand muss ja meine Blumen gießen, wenn ich weg bin. Ich habe seine Schlüssel ja auch. Logisch, sonst hätte ich ihn ja nicht gefunden. Auf dem Küchenboden.“
Beileid nicht nötig!
„Mein Beileid!“
„Nicht nötig. Zeit. dass das Ekel ging, aber versprochen ist halt versprochen, also wie lange?“
Ich riet ihr jedenfalls davon ab, drei Wochen untätig verstreichen zu lassen. Sie erzählte mir, wann sie am nächsten Morgen von Schönefeld fliegt und wir vereinbarten, ihren Exmann noch heute Abend aus seiner Wohnung abzuholen und das Ganze sozusagen auf Eis zu legen. Alles weitere könnten wir dann nach ihrem Urlaub in Ruhe erledigen. So hatte sie ihr Versprechen gehalten und trotzdem ihren Flieger nicht verpasst.
Foto: Tegeler See (Jens Keller)