Es mag eine Binsenweisheit sein, aber so lange man lebt, kann man seine Beziehungen aktiv gestalten. Es gehören aber immer zwei dazu. Manchmal will der andere nicht mitziehen. Kennengelernt haben wir uns in der Schule. Grundschule, 2.Klasse. Am Anfang war ich der Neue aus dem Norden, zugereist und schief angesehen. Mit roten Haaren und Brille, an Zentimetern der Größte in der Klasse und dann noch Protestant. Die “Religionskrieg” kamen erst später, im Gymnasium. Jetzt in der Grundschule auf dem Land in Baden-Württemberg zählten unter Kindern andere, diffuse Dinge.
Ich verstand kein Wort!
Erst ging es recht gut, alle bemühten sich, sich mit mir zu verständigen. Die erste Woche verstand ich kein Wort. Dann schien ich aufgenommen. Aber irgendwann brach der Burgfrieden und ich wurde während eines Fußballspiels auf der Straße von einem laut johlenden Mob verfolgt. Alle gegen einen. Ich rannte die Straße nordwärts, als wolle ich die 800 km nach Hamburg mit einem kurzen Sprint überbrücken und landete kurz vor dem Friedhof des Dorfes in einer Sackgasse. Mit 9 Jahren sieht man den Tod noch nicht vor sich, wenn man in die Klemme gerät, aber die Angst vor Prügel packte mich schon.
Der Heiland hat mich errettet
Da kam der Heiland, in Form von Dieter. Dieter saß auf seinem Hof auf einer Schaukel und lud mich zu sich kurzerhand ein, als er der gröhlenden Meute gewahr wurde, die mich verfolgte. Er rückte mich nicht raus und lud mich zu sich auf die leere zweite Schaukel neben sich. Ich schaukelte eine Weile, bis der Mob sich auflöste und nach Hause trabte. Dieter und ich sind leider keine besten Freunde geworden.
Einer aus dem Mob wurde mein Freund
Trotzdem danke, Dieter! Einer aus dem Mob wurde mein Schulfreund. Bis dass der Tod uns scheidet, nein, dass haben wir uns nicht geschworen, aber mir schien es so, dass diese Freundschaft kein Ende haben, sondern ein Buch darstellen würde, in dem immer wieder neue Kapitel entstehen. Leider ist irgendwann der Faden abgerissen. Mein Schulfreund lebt wohl noch, aber er antwortet mir nicht mehr. Telefon, Brief, Mail, alles probiert ohne Ergebnis. So kann eine Beziehung auch schon zu Grabe getragen werden, wenn die Menschen, die sie ausfüllen sollten, im realen Leben noch existieren.
Das liebe Wunschdenken
Wir neigen zu Idealvorstellungen, wir igeln uns in ihnen ein und sind empfänglich für solche Bilder. Sich bereits früher, vor dem Ableben darüber klar zu werden, dass Wunschdenken und echtes Leben nicht immer zusammenpassen, kann helfen, Enttäuschungen und allzu großen Erwartungen vorzubeugen. Seien wir dankbar für das, was wir haben, wenn es auch manchmal wenig erscheint. Wir sollten nur für die nötige Balance sorgen, diese Aufgabe kann uns niemand abnehmen. Wenn die “toten” Freunde die lebenden überwiegen, sollten wir für Ausgleich sorgen. Sich nur noch mit Erinnerungen zu umgeben und dem echten Leben auszuweichen, ist nicht gut für die Psyche. Schauen Sie sich einmal um und genießen Sie einen kleinen Plausch mit Ihren Nachbarn oder Zufallsbekanntschaften. Tanken Sie auf! Bis dass der Tod Sie scheidet und es diese Gelegenheiten nicht mehr gibt.