Virtueller Nachlass

Alle 3 Minuten stirbt ein Facebook-Nutzer

Berliner Mutter kämpft vor Gericht um Einsicht ins Facebook-Konto ihrer toten Tochter. Jetzt wurde entschieden!

2012 starb eine Minderjährige im U-Bahnhof Schönleinstraße in Kreuzberg. Die 15jährige war von einer einfahrenden U-Bahn überrollt worden. Für die Mutter steht bis heute nicht fest, ob es sich um einen Unfall handelte oder die Schülerin vielleicht gemobbt und so in den Selbstmord getrieben wurde. Antworten auf ihre zermürbenden Fragen versprach sie sich als sie sich den Facebook-Account ihres Kindes anschauen wollte. Sie wollte in den letzten Posts, den letzten Nachrichten von Freunden lesen. Der tragische Tod des Mädchens beschäftigte an einem Dienstag im April das Kammergericht. Und er beschäftigt uns alle, zumindest diejenigen, die mit dem Internet in Verbindung stehen und dort Spuren hinterlassen, in Form von Posts oder Profilen, sei es bei Facebook, Twitter oder anderen Social Media. Welche Macht hat Facebook über unsere Daten?

Wem gehören die auf Facebook geposteten Bilder?

Der 21. Zivilsenat in Berlin hatte zunächst in einen größeren Saal wechseln müssen, da der Andrang so riesig war. Es ist bereits der zweite Prozess um diesen beispielsetzenden Fall. In erstinstanzlicher Entscheidung des Berliner Landgerichts hatte noch die Mutter Recht bekommen. Das soziale Netzwerk Facebook war zum Offenlegen des Kontos verpflichtet worden. Doch Facebook hatte Berufung eingelegt. Es hatte sich dabei auf die Persönlichkeitsrechte Dritter berufen, also all derer, die in dem Profil der Tochter Texte hinterlegt hatten. Björn Retzlaff, der Vorsitzende Richter, betonte gleich zu Beginn der 90 Minuten langen Verhandlung, dass juristisches Neuland betreten werde.

Neuland wird betreten

Bisher gäbe es noch keine rechtskräftige Entscheidung deutscher Gerichte über den virtuellen Nachlass eines Verstorbenen. So einig wie die Juristen am Landgericht Mitte im Dezember 2015 waren sich die drei Richter am Kammergericht jetzt keineswegs. Retzlaff erläuterte, dass man klären müsse, ob ein Facebook-Account überhaupt vererbbar sei. Wenn dies nicht der Fall, sei, dann stelle sich die Frage, ob man ein minderjähriges Kind eine Ausnahme darstelle. Retzlaff stellte dazu klar: Solange das Kind gelebt habe, hätten die Eltern Anspruch auf den Kontozugang gehabt, um ihr Sorgerecht auszuüben und ihr Kind schützen zu können — etwa vor dem vermuteten Mobbing. Unklar sei jedoch, ob der Anspruch den Tod überdauern könne. Denn mit dem Tod des Kindes ende auch das Sorgerecht. Christian Pfaff, der Anwalt der Mutter, wies auf deren Wunsch hin, dass der Kontozugang für sie wichtig sei, um endlich abschließen zu können. Die Mutter erhoffe sich Gewissheit über die Todesumstände ihres Kindes. Für ihn sei klar, dass es ein digitales Erbe geben müsse. Schließlich sei die digitale Welt Teil des heutigen Lebens. In ihrer Klage hatte die Mutter ausgeführt, ihrer Tochter mit 14 Jahren den Zugang zu Facebook erlaubt zu haben. Bedingung war aber, dass die Mutter das Passwort kennt, um jederzeit eingreifen zu können, wenn das Konto missbraucht werden würde. Nach dem Tod der Tochter kam sie jedoch nicht mehr auf die Seite, weil das Konto durch Facebook bereits in einen, sogenannten Gedenkzustand (siehe unten) gestellt worden war. Die Daten sind zwar noch vorhanden, doch nicht mehr einsehbar.

Facebook gewinnt gegen die Eltern des Mädchens

Jetzt wurde Ende Mai das Urteil bekannt gegeben: Facebook muss den Eltern keinen Zugang zu deren Account im sozialen Netzwerk gewähren. Damit wurde das Urteil des Landgerichts Berlin aufgehoben, das der Mutter 2015 Recht gegeben hatte. Es gibt damit auch kein Zwangsgeld in Höhe von 25 000 Euro gegen Facebook. Das Kammergericht ließ offen, ob ein Account vererbbar ist. Doch selbst wenn, stehe der Einsicht in das Konto das Fernmeldegeheimnis gegenüber, das vom Grundgesetz geschützt sei, so Retzlaff. Dazu zählten nicht nur Telefonate, sondern auch elektronische Briefe. Um die Einsicht zu erlauben, müssten beide Parteien einverstanden sein: die Tochter und desjenigen, mit dem sie Nachrichten ausgetauscht habe. „Es hängt alles an Dritten, und deren Zustimmung haben wir nicht“, sagte Retzlaff in der halbstündigen Urteilsbegründung.
Dies sei der entscheidende Punkt, daran scheitere die ganze Sache. Das Landgericht habe sich mit dem Aspekt damals nicht befasst. Das nun gefällte Urteil stehe auch nicht im Widerspruch zum Sorgerecht. „Es bestand, weil die Tochter minderjährig war“, so der Richter. Doch es erlosch mit dem Tod des Kindes.
„Wir haben volles Verständnis für das Anliegen der Eltern“, sagte er noch. Es sei nachvollziehbar, dass sie etwas suchten, das den Tod der Tochter erklärbar mache. „Diese Entscheidung fällt uns nicht leicht, aber wir können nur Gesetze anwenden.“ Retzlaff ließ ausdrücklich eine Revision zu, denn der Fall sei Neuland. Der weitere Weg über das Bundesgericht zum Bundesverfassungsgericht sei möglich. Unklar ist, wer seiner Zeit beantragt hatte, den Account umzustellen. Im Gedenkzustand kann auf einen Facebook-Account nicht mehr zugegriffen werden.

Unser Tipp! Virtuellen Nachlass regeln.

Virtueller NachlassDie Frage nach dem virtuellen Erbe wird immer dringlicher. In Deutschland stirbt beispielsweise alle drei Minuten ein Facebook-Nutzer, behauptet Facebook.

Beim virtuellen Nachlass geht es unter anderem auch um E-Mail-Postfächer, Twitterkonten, das Paypal-, Amazon- und Ebay-Konto eines verstorbenen Nutzers.

Wir empfehlen, eine Liste mit allen Accounts, Konten und Profilen sowie den dazugehörigen Passwörtern zu erstellen, diese auf einem verschlüsselten USB-Stick zu speichern und in einem Safe zu verwahren oder bei der Bank einzuschließen.

Was ist der „Gedenkzustand“ bei Facebook

Zu Lebzeiten kann der User entscheiden, was mit seinem Profil geschehen soll. Eine ähnliche Funktion hat übrigens ganz vorbildlich auch Google eingeführt: man kann zu Lebzeiten bestimmen, wann der eigene Account mit all seinen Daten gelöscht wird, wenn man eine gewisse Zeit nicht mehr aktiv war. Z.B. kann man festlegen, dass der Eintrag 6 Monaten nach der letzten Konto-Aktivität komplett gelöscht wird (mehr zum Thema Konto-Inaktivitätsmanager hier). Das ist praktisch und es wird weder eine Handlung der Nachkommen erforderlich sein, noch muss ein Nachweis über das Ableben erbracht werden. Anders Facebook, hier kann ich festlegen, ob mein Account komplett gelöscht wird, wenn nicht, tritt nach dem Tod die Umschaltung des Accounts in den Gedenkzustand in Kraft. Die Postings können nicht mehr gelöscht werden, alles wird sozusagen eingefroren. Auch wer das Passwort kennt, kommt nicht mehr weiter. So wie die Mutter in dem aktuellen Gerichtsfall. Worauf man sich einstellen muss, schildert Facebook mittlerweile etwas versteckt, aber ausführlich auf seinen Service-Seiten. Interessant ist, wie Facebook ermittelt, das ein User verstorben ist? Im Falle des Berliner Mädchens war das ja nicht geklärt. Am besten sollte man sich noch heute überlegen, was mit seinem Account bei Facebook geschehen soll, wenn man einmal nicht mehr lebt oder nicht mehr handlungsfähig ist, weil man womöglich nach einem medizinischen Eingriff ins Koma gefallen ist. Auch dazu äußert sich Facebook. Die Debatte um das Wie und Was ist noch längst nicht beendet. Wenn wirklich alle drei Minuten ein Facebook-User stirbt und dessen Einträge in einen In-Memoriam-Zustand versetzt werden, dann wird Facebook irgendwann auch der größte Datenfriedhof im Netz sein!

Facebook setzt die Bedingungen, wir müssen uns entscheiden. Am besten heute!

Facebook über den Nachlasskontakt

„Ein Nachlasskontakt ist eine Person, die du auswählst, damit sie sich um dein Konto kümmert, wenn dieses in den Gedenkzustand versetzt wird. Sobald dein Konto in den Gedenkzustand versetzt wurde, kann der Nachlasskontakt verschiedene Handlungen ausführen, u. a.:

  • Einen fixierten Beitrag für dein Profil verfassen (z. B. um eine letzte Meldung in deinem Namen zu teilen oder Informationen zu einem Gedenkgottesdienst bereitzustellen)
  • Auf neue Freundschaftsanfragen reagieren (z. B. alte Freunde oder Familienmitglieder, die Facebook bisher noch nicht genutzt haben)
  • Dein Profilbild und dein Titelbild aktualisieren
Du hast außerdem die Möglichkeit, deinem Nachlasskontakt zu erlauben, eine Kopie deiner geteilten Inhalte auf Facebook herunterzuladen. Möglicherweise werden zukünftig weitere Handlungsmöglichkeiten für Nachlasskontakte ergänzt.
Dein Nachlasskontakt darf Folgendes nicht tun:
  • Sich bei deinem Konto anmelden
  • Zuvor gepostete Beiträge, Fotos und andere Inhalte aus deiner Chronik entfernen oder ändern
  • Deine Nachrichten lesen
  • Einen deiner Freunde entfernen“
Facebook kommt mit immer mehr ausgeklügelten Richtlinien. Müssen wir uns ihnen fügen?

Facebook über den Gedenkzustand

Du kannst uns im Voraus mitteilen, ob dein Konto in den Gedenkzustand versetzt oder dauerhaft aus Facebook gelöscht werden soll.

[…] Hinweis: Du musst du mindestens 18 Jahre alt sein, um einen Nachlasskontakt festlegen zu können.

Wenn Facebook darauf aufmerksam gemacht wird, dass diese Person verstorben ist, wird das Konto gemäß unserer Richtlinien in den Gedenkzustand versetzt. […]

Bedenke bitte, dass wir keine Anmeldedaten für das Konto einer anderen Person herausgeben dürfen – selbst in einer solchen Situation. Sich beim Konto einer anderen Person anzumelden, stellt immer einen Verstoß gegen die Facebook-Richtlinien dar.
Wenn du ein Profil melden möchtest, das in den Gedenkzustand versetzt werden soll, kontaktiere uns.
Konto entfernen:
Nachgewiesene, unmittelbare Familienangehörige können die Entfernung der Konten von Verstorbenen von Facebook beantragen.

Reiche als Berechtigungsnachweis eines dieser Dokumente ein:

  • Vollmacht
  • Geburtsurkunde
  • Testament
  • Nachlassbrief
Reiche ein Dokument ein, aus dem das Ableben dieser Person hervorgeht:
  • Todesanzeige
  • Trauerkarte
  • Sterbeurkunde“

Wenn Sie uns dazu schreiben möchten, freuen wir uns auf E-Mails an die Adresse info@harold-bestattungen.de.

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Mein Freund ist tot, auf Facebook lebt er weiter